Richtig bremsen mit ABS

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  • hallo Leute,

    Heute mal was Allgemeines, da die Berichterstattung über die ABS-Systeme in den Zeitschriften, aber auch meine hier veröffentlichten Testbremsungen vielleicht einen falschen Eindruck vermitteln könnten, wie man mit einem ABS-Motorrad richtig bremst.

    Eines vorne weg, man soll mit einem ABS-Motorrad genauso bremsen, wie mit enem Nicht-ABS-Motorrad.

    Mancher Anfänger oder auch Teilnehmer von Sicherheitstrainings im Auto-Bereich wird jetzt sagen. Wieso mein Fahrlehrer oder Instruktor hat gesagt, einfach drauflatschen und zwar so schnell wie möglich, das Pedal durchschlagen. Dies ist für die Auto-ABS-Bremsung sehr wohl richtig. Leider ist es falsch für den Motorradbereich und wird auch leider oft bei Trainings falsch instruiert.

    Auch werden oft Testberichte in den Fachzeitschriften veröffentlicht, die Bremsdiagramme zeigen, bei denen der Bremshebel schlagartig durchgerissen wurde und die ABS-Bremse standardisiert so getestet wurde, um gleiche Testbedingungen zu schaffen.

    Diese Messergebnisse zeigen dann allerdings nicht den minimal möglichen Bremsweg auf.

    Warum ?

    Beim Motorrad ist die Bremsung stark abhängig von der "Dynamischen Radlastverschiebung". Während am Anfang der Bremsung die Gewichtsverhältnisse noch annähernd gleich veteilt sind und mit der Hinterradbremse noch verhältnismässig viel Bremskraft übertragen werden kann, können die Verhältnisse der möglichen Bremskraftübertragung sogar auf 100 % Vorderrad und 0% Hinterrad wechseln.

    Vorderradbremse:

    Wird bei einem nicht ABS-Motorrad sofort der Bemshebel voll durchgerissen, kommt es zu einer sofortigen Radblockade, die Bremse muss sofort wieder gelöst werden, wertvolle Meter werden verschenkt. Nun, so bremst man ja aus Erfahrung nicht und gesteht der Gabel das Eintauchen zu und somit erhöht sich die Kraft, die das Vorderrad auf den Asphalt presst. Damit erhöht sich die mögliche übertragbare Bremskraft.

    Bei der ABS-Bremse geschieht nun eben das Gleiche, nur ohne Sturzgefahr, wenn man den Hebel voll durchreisst. Das System meldet einen viel zu hohen Radschlupf und fährt den Bremsdruck extrem runter (siehe auch meine ABS-Berichte). Auch hier werden wertvolle Meter verschenkt, das das Rad erst vielfach eingeregelt werden muss., bevor wieder für optimale Schlupfverhältnisse gesorgt ist.

    Wenn ich nun normal zügig den Bremshebel anlege und den Druck stetig steigere, sorge ich für keine Verluste in der Anfangsphase. Das ABS-System ist dann nur noch für den Fall von zu hohen Haftreibungsverlusten trotz hohem Anpressdruck und guter Bodenhaftung der Reifen in Arbeit.

    Hinterradbremse:

    Wie oben erwähnt nimmt der Anpressdruck des Hinterradreifens während einer Bremsung stetig ab. Deshalb ist hier die Anfangsphase einer Notbremsung die Wichtigste. Fußhebel voll betätigen, zwar wird das Hinterrad dann auch sehr schnell eingeregelt, aber die ersten Meter konnte der Hintrradreifen noch seine maximal mögliche Bremskraft übertragen, anschließend ist das Rad sowieso stark entlastet und es findet sozusagen eine Dauerregelung des ABS statt. Bei der ER könnte man dann eigentlich ganz auf die Fußbremse verzichten, weil sie dann ihre Schuldigkeit getan hat, aber im Schreck wird so gut wie keiner daran denken sie zu lösen, was auch nicht notwendig ist.

    Falls jemand selber üben wiill, sollte er dies berücksichtigen, weil die erzwungenen Fahrzustände aus meinen Testberichten nichts mit einer richtig guten ABS-Bremsung zu tun haben.

  • Hallo Rainer,

    Bevor ich deine Berichte gelesen hatte, war
    ich auch der Meinung, bei einer Vollbremsung
    vollzulangen, denn Rest macht das ABS-System,
    ganz wie beim Autofahren, was wohl auch eine
    weit verbreitete Meinung sein dürfte.
    Werde mir wohl doch ein Bremstraining gönnen
    müssen dieses Jahr, nur um mit dem Funbike nicht
    ein jähes Ende zufinden, trotz ABS.

    Habe zu deinen Anmerkungen noch mal ne
    Frage, im Bezug auf Bremsen in Kurvenfahrten,
    was passiert da mit dem ABS-Bremssystem
    wen ich in einer Kurve eine Vollbremsung hinlegen
    muß, oder besser was passiert da nicht ?,
    deaktiviert sich womöglich das ABS-System
    bei Schräglagen.

    MfG. Eddel

    Ziele geben unserem Leben
    einen Sinn und eine Richtung. :teach:

  • hi Eddel,

    Leider kann man auch mit ABS in einer Kurve keine Vollbremsung hinlegen. Es gibt kein ABS, dass sich in der Kurve abschaltet. Die Räder werden früher eingeregelt, da sie zu ungunsten der möglichen Bremskraft noch mit Seitenführungskräften beschäftigt sind.

    Bis zu einer mitlleren Schräglage kann man die Hinterradbremse bis in den Regelbereich kommen lassen. Drunter kann die Karre auch extrem wegrutschen und zu Boden gehen, weil das ABS bei der ER-6 erst recht spät eingreift.


    Beim Bremsen in der Kurve sorgt das Bremslenkmoment am Vorderrad, für das Aufstellen des Motorrad. Wird jetzt in den Regelberecih gebremst, variiert permanent der Bremsdruck mit der Folge, dass Dein Lenker dauernd eingeschlagen wird und zwar mit hoher Frequenz (bis zu 10 mal pro Sekunde, genauso oft, wie das ABS regelt). Diesen Lenker kannst Du nicht festhalten, sodass er sich nicht bewegt, weil hier Kräfte von bis zu 150 Nm wirksam sind.

    Es gibt Könner, die bei mittleren Schräglagen sich so Dauer-Bremsen trauen (nicht auf den eigenen Maschinen, sind ja nicht blöd), die das sturzfrei überstehen. Diese müssen dabei unbedingt vermeiden, dass sich das Bike allzu weit und schnell aufrichtet, um einen Abwurf zum Kurvenäußeren zu vermeiden.

    Fazit: Brems in der Kurve so, als hättest Du kein ABS -oder-

    Wer in der Kurve bremsen muss, hat vorher was falsch gemacht :teach:

  • hmmm, ich bin echt verunsichert,
    soll ich mir nun das abs leisten oder lieber auf reine handarbeit setzen ?

    warum tun wir das ? weil wir's können !

  • Hallo Rainer,

    danke für die aufschlußreiche Beantwortung,
    na dann schauen ich doch mal, das ich die Kurven
    bremsfrei angehe.

    MfG. Eddel

    Ziele geben unserem Leben
    einen Sinn und eine Richtung. :teach:

  • Zitat

    Original von naked-oldie
    hmmm, ich bin echt verunsichert,
    soll ich mir nun das abs leisten oder lieber auf reine handarbeit setzen ?

    Wiso verunsichert, es ist doch eindeutig, das ABS ein Sicherheitsgewinn ist.
    Die Bremsanlage bremst doch wie jede andere auch, mit dem Unterschied, das ein blokierendes Rad "automatisch" wieder frei gegebn wird, wärend Du ohne ABS das selber machen mußt und da liegt das Salz in der Suppe.
    Ich möchte dehnjenigen sehen, der bei einer Schreckbremsung sein blokiertes Vorderrad bewußt innerhalb kürzester Zeit wieder frei gibt. Eigentlich ist es so, das man vor Angst erstarrt und sich fesrt an die Bremse klammert und schwups, ist das Vorderrad "eingeknickt" und man liegt auf der Nase. In diesem Moment kommt das ABS ins Spiel und hilft freundlich weiter, in dem es die Bremse "auf macht".
    Also bei mir war ABS ein Kaufgrund für die ER.

  • das abs wäre ja auch ein hauptgrund für die er6
    ich kenne abs bisher nur vom auto und da isses genial.
    mit dem motorrad kann ich ja hoffentlich bald meine ersten erfahrungen
    mit der fahrschul-bmw sammeln.

    warum tun wir das ? weil wir's können !

  • Da kann ich Griese absolut zustimmen. Das ABS beim Motorrad ist ein wichtiges Sicherheitsfeature. Nach Honda CBF600, Suzuki GFS650 und nun ER6 ist zudem bewiesen, das das ABS nicht nur für die Oberklasse-Maschinen möglich ist.

    Gruß
    Kai

  • Hier im Forum gibt es doch noch den einen

    Link.http://www.freebiker.com/freebiker/wbb2…hp?postid=48841


    Wer den gelesen hat, kann nicht mehr ernsthaft daran zweifeln, dass in der Not das ABS der Lebensretter sein kann.

    In dem Link wurden Leute der Endroute zum Motorradfahrer des Jahres getestet. Also Leute, die von sich überzeugt sind, echt gut fahren und bremsen zu können. Die Ergebnisse sind dort dokumentiert.

    Wr meint es besser zu können ist vermutlich mit Superman verwandt.

  • Wir haben doch eine "Oberklasse-Maschine"! :jubel

    Oder hätten wir sie uns sonst gekauft? ;)

    Grip ist wie Luft - beides vermisst man erst, wenn's nicht mehr da ist.... :yeah:

  • Ich war ja heute bei meinem Ducati-Kawasaki-Händler. Der ließ mich mal die Druckpunkte der ER-6 mit und ohne ABS fühlen. Also eines muss ich ja sagen: So ein sicheres Feature ABS auch sein mag, der Druckpunkt ist beim ABS-Mopped wirklich teigig, matschig. Da lobe ich mir meinen exakten Stahlflex-Druckpunkt. Zitat mein Händler: "Selbst mit Stahlflex bekommst du den Druckpunkt bei ABS-Maschinen nicht exakter hin."

    Zum Vergleich ließ er mich bei Ducati ST4S ABS und Monster S4S (beide baugleiche Bremsanlagen mit Stahlflex und im Übrigen das gleiche ABS-System wie bei der ER-6) testen. Was soll ich sagen? Er hat Recht. Ich denke, da wird manchem nicht viel anderes übrig bleiben, als bei einer Schreckbremsung mangels exaktem Druckpunkt voll reinzulangen :denk . Oder sehe ich das jetzt falsch, Rainer?

  • Zwangsläufig wirst du bei einer wohlgemerkt "Schreck-Not-Bremsung" in der Regelung landen, entweder weil die Fahrbahnverhältnisse während der Bremsung unterschiedlich sind oder weil man etwas zu viel Druck gibt.

    Regelmässig gibt es aber drei andere Gründe warum das Vorderrad in der Endphase der Bremsung blockiert, obwohl der Fahrer nicht mehr Druck gegeben hat und einen exakt fühlbaren Druckpunkt hat.

    1. durch die Erwärmung der Bremsbeläge während der Bremsung nimmt deren Griffigkeit zu

    2. eine stark reduzierte Raddrehzahl ermöglicht es , dass die Bremskraft bei sehr guten Bremsanlagen das Rad frühzeitig zum Stillstand bringt

    3. Die Gabel geht auf Block, kann keine Fahrbahnunebenheiten mehr aufnehmen und springt, wenn auch nur ganz leicht von der Fahrbahn und hat damit keine Haftreibung mehr.

    Dies sind Momente, die immer dann auftreten, wenn ein Fahrer auf der Maschine sitzt, der wirklich an die Grenze des Machbaren bei seiner herkömmlichen Bremsanlage geht. Die meisten gehen an den Druckpunkt, aber geben dann doch nicht den maximal möglichen Druck.

    Bei Übungsbremsungen konnte ich Radblockaden schon oft beobachten. Meistens ging es gut aus, weil wir vorher ein blockiertes Vorderrad bei 60 km/h künstlich erzwingen und das schnelle Öffnen trainieren. Hierbei bekommt der Fahrer sensorisch mit, wie sich ein blockiertes Vorderrad anfühlt, bevor er es innerhalb von 0,5 sec lösen muss. Trotz dieser Vorübung geht von 100 Teilnehmern einer zu Boden, sodaß ich behaupte, daß dies im Notfall wesentlich mehr wären.

    Ich bin der Meinung, dass man einen exakt fühlbaren Druckpunkt an einer Nicht-ABS-Maschine braucht, um weitestgehend eine Radblockade zu vermeiden. Bei einer ABS Maschine wäre es auch nett, aber obsolet.

    Wichtig ist trotzdem, wie ganz oben beschrieben eben nicht einfach "durchzureissen", sondern kräftig in den schwammigen Druckpunkt zu ziehen. Regeln tut es dann von alleine. Wie in den anderern ABS-Berichten beschrieben, muss ich halt etwa einen cm in den Duckbereich ziehen, bis ich im Regelbereich lande.

    Mit ABS kaufe ich mir relative Sturzfreiheit und somit die Chance nicht handlungsunfähig zu werden. Oder kann man am Boden noch lenken ?

    Stahlflexleitungen und Lucas-Beläge haben bei anderen Maschinen mit ABS sehr wohl noch was gebracht. Inwieweit das aber das Sportbremserherz befriedigen kann, sei dahin gestellt.

  • Danke, wie immer sehr anschaulich beschrieben. :P

    Ich weiß gar nicht, warum sich so mache (r) gegen ABS wehrt.
    Die Vorteile liegen doch auf der Hand und "normal" bremsen kann man mit ABS doch genauso gut. :heil:

  • Danke Rainer,

    wie immer anschaulich beschrieben. Ich habe auch schon so manches Training hinter mir und diese Blockade-Bremsungen erlebt.

    Ich war nur erstaunt, wie schwammig ein ABS-Druckpunkt selbst mit Stahlflex ist. Und da ich bisher an fast allen meinen Motorrädern Stahlflex montiert hatte, war ich umso überraschter. Dass ABS ein großes Sicherheitsplus ist, steht, wie ich oben bereits schrieb, außer Frage. Deshalb, mein lieber Griese :baby: , steht ebenso außer Frage, dass ich mich gegen ABS wehre. Es wäre für mich nur wünschenswert, dass man auch beim ABS einen exakten Druckpunkt hätte. Auch wenn er hier, da hat Rainer Recht, eigentlich überflüssig ist.